Eine Caprice.

Novellette von Paul Bliß. (Berlin).
in: „Pittsburger Volksblatt” vom 21.02.1897


Comteß Lolo war wüthend.

„Aber Mama, das ist ja gar nicht auszudenken! den ganzen Winter sollen wir hier in dieser Einöde vertrauern?”

„Liebes Kind, dagegen ist nichts zu machen,” sagte die Gräfin und nahm den gelben Band Ohnet wieder auf.

„Nein, Mama, das ertrage ich nicht!”

Das kleine Comteßchen wurde immer erregter.

„Kind, Kind, sei nicht so laut. Nebenan arbeitet der Papa.”

„Geradezu empörend ist das von Papa! Weil er in der Politik und in seiner Partei Aerger gehabt hat, schleppt er uns hierher, wo die Welt mit Brettern vernagelt ist! Geradezu rücksichtslos ist das, und ich werde es dem Papa auch heute nach Tisch sagen.”

„Das wirst Du hübsch bleiben lassen, Charlotte,” entgegnete ernst die Mama, „unser armer papahat gerade Sorgen genug, ohne daß Du ihm erst noch mit Deinen Launen zu plagen brauchst.”

Aergerlich zerknüllte das Comteßchen ihr zartes Spitzentuch. Die Gräfin aber sprach ruhig und mit halblauter Stimme weiter:

„Du mußt doch einsehen, daß wir dem Papa das Opfer bringen müssen. Nach alledem, was geschehen ist, thun wir am besten, uns ein paar Monate von der Gesellschaft fern zu halten.&rdquo,

„Aber, mein Gott, was ist denn nur geschehen?! Daß Papas Rede im Reichstag nicht den gewünschten Eindruck gemacht hat, das ist doch kein Verbrechen, das man gleich mit sechsmonatiger Verdammung zu ahnden braucht!”

„Kind, sprich nicht so laut! Papa muß geschont werden. Du hast eben noch keine Ahnung von Politik und von all' den Konsequenzen, die so eine Disposition, wie Papa sie getroffen hat, nach sich zieht. Laß Dir genug davon sein, wenn ich Dir sage, daß wir dem Papa das Opfer bringen müssen.”

Lolo schwieg und ging schmollend in ihr Zimmer. Dort rückte sie sich den Schaukelstuhl an's Fenster, nahm sich einen Romanband vor und versuchte zu lesen.

Aber es blieb beim Versuch. Schon nach fünf Minuten warf sie das Buch fort und sah mit trostlosen Augen hinaus auf die weithin sich dehnenden Schneeflächen.

So weit sie sah, nichts als Schnee und Schnee. Fast unheimlich schien ihr das. Sie hatte ja das Leben auf dem Lande ganz gern, aber es mußte Sommer sein, so daß man in lustiger Gesellschaft dem frischen, fröhlichen Sport nachgehen konnte; oder auch der Winter auf den Gütern war ein paar Wochen lang ganz erträglich, nur durfte man natürlich nicht so auf sich allein angewiesen sein, wie das jetzt der Fall war, dann war's einfach zum Sterben langweilig, — keine Unterhaltung, keine Nachbarschaft zum Verkehr und niemals ein Besuch, weil man ganz isolirt leben wollte — das war doch wirklich nichts für eine ihres Werthes bewußte junge Dame von neunzehn Jahren, der man in der Hauptstadt nach allen Regeln der feinen Welt den Hof machte, — nein, das ertrug sie wirklich nicht. — Und während sie so nachdenkend in die Schneelandschaft hinaus blickte, dachte sie an die Freundinnen, die jetzt von einem Feste zum andern tanzten, und dachte an all' die eleganten Kavaliere der Residenz, die sie im vorigen Winter umschwärmt hatten und die sich nie genug thun konnten, gerade ihr vor allen anderen Damen der Gesellschaft durch zarte Aufmerksamkeiten zu gefallen — ordentlich wehmüthig wurde ihr um's Herz, als sie an all' das dachte, und dabei kamen ihr die Thränen in die Augen. Dann aber sprang sie auf — Aerger und Wuth machten sie plötzlich energisch, und sie sprach sich selbst Muth zu — nur nicht von solcher Stimmung sich unterkriegen lassen!

Mit einem Male wurde sie aufmerksam.

Ein Schlitten kam mit hellem Geläut am Gutshof vorbeigefahren und hielt vor dem Hause des Amtmannes.

Doch endlich eine Abwechslung.

Die Comteß trat an's Fenster und musterte den Insassen des Schlittens. Ein junger Herr war es, elegant und modisch angezogen, mit einem dunkelbraunen Schnurrbart und in soldatisch strammer Haltung. „Ganz interessant!” dachte Lolo nachdenklich. Wer er wohl sein mochte . . . . .

Ein paar Minuten später trat die Zofe herein und theilte der Herrin die Neuigkeit mit, daß soeben der neue Hauslehrer bei Amtmanns angekommen sei, — ein sehr nobler Herr und aus Berlin sei er.

Die Comteß nickte nur leichthin, bei sich aber dachte sie: „Schau, schau, ich hätte ihn höher taxirt, aber interessant ist er unbedingt.

Nach einigen Tagen, als die Comteß eben von einem Spazierritt heimkam und am Hause des Amtmanns vorbeiritt, hörte sie Klavierspiel, — die Berceuse von Chopin — meisterhaft gespiekt, und als sie neugierig dann in's Fenster sah, erblickte sie den neuen Hauslehrer, der am Flügel saß.

„Sieh doch blos an,” dachte sie, „er ist ja ein Künstler!” Und nun wurde sie ordentlich neugierig, etwas Näheres über den neuen Mann zu erfahren.

Die schnellen Entschlüsse liebte sie, und deshalb ging sie noch am selben Tage zu Amtmanns, um einen Besuch zu machen.

Käthe, des Amtmanns älteste Tochter, zählte auch etwa neunzehn Jahre. Die Comteß war mit ihr befreundet, und so war es ganz selbstverständlich, daß Lolo die Freundin besuchte. Zwar war dies seit langer Zeit nicht geschehen, aber das that nichts, eine Comteß war immer gern gesehen.

So lernte sie den Doktor Herkmann kennen, und sie fand nun bestätigt, was sie gleich gesehen hatte: Er war ein junger Mann mit guten Manieren und war sehr interessant. Hätte man nicht gewußt, daß er ein einfaher Hauslehrer war, so hätte man ihn sicher für einen Lieutenant in Civil halten können, — und nebenbei war er auch noch ein Künstler, Chopin und Beethoven spielte er geradezu glänzend.

Comteß Lolo war heimlich ganz entzückt.Das war doch endlich einmal eine Abwechslung in dieser trostlosen Einöde! Da konnte man doch manches Stündchen ganz angenehm verbringen und verplaudern.

Von dem Tage an wiederholten sich ihre Besuche der Amtmanns, fast regelmäßig kam sie um die gleiche Zeit und blieb eine, oft auch zwei Stunden und schließlich den ganzen Abend dort. Man musizirte, plauderte und unterhielt sich ganz vortrefflich.

Doktor Herkmann gab sich stets als tadelloser Kavalier, aber nie verrieth er mit einer Miene, daß er der Comteß vor den anderen Damen den Vorzug gab.

Das merkte Lolo gar bald, — anfangs lächelte sie darüber heimlich, denn im Vergleich zu der guten Frau Amtmann und ihrem Käthchen war sie doch eine vollendete Weltdame, der einfach gar nichts mehr imponiren konnte, — das hatten ihr die Herren der Residenz ja hundert Mal auf Ehrenwort versichert. Schließlich aber, als es ihr schien, daß der brave Hauslehrer sich absichtlich in solcher Reserve hielt, ärgerte sie sich doch darüber, und sie beschloß, alle ihre kleinen Künste zur Anwendung zu bringen, um ihn aus seiner Zurückhaltung herauszureißen. Sie freute sich ganz kindisch auf dieses Spiel, das ihr doch endlich die lang ersehnte Abwechslung brachte.

Acht Tage später wurde der Doktor auf's Schloß geladen, um dem Grafen und der Gräfin seine schöne Kunst zu Gehör zu bringen.

Lolo lächelte. Nun hatte sie den Eismann ganz für sich allein. Nun sollte er Farbe bekennen!

Den ganzen Nachmittag und Abend über ließ sie ihn nicht von ihrer Seite, bald mußte er mit ihr vierhändig spielen, bald ihr von seinen Reisen erzählen, dann wieder sprachen sie über Theater und Kunst und immer spielte sie mit tausend Koketterieen, die einen Mann so leicht entflammen können.

Anders aber dieser Doktor! Nichts brachte ihn aus seiner weltmännischen Ruhe, immer nur der vornehm höfliche und glatte Parkettmann war er, und für all' die tausend kleinen Avancen der Comteß schien er keine Augen und Ohren zu haben; und als er sich endlich empfahl, war die kleine Lolo auch nicht um eines Haares Breite weiter gekommen mit ihm, und ärgerlich mußte sie sich eingestehen, daß ihr „so ein Mensch” in der That noch nicht vorgekommen war.

Doch nun sollte er erst recht daran glauben! Jetzt erst recht nahm sie es sich vor, ihn in sich verliebt zu machen, um ihn dann mit einem Riesenkorbe abziehen zu lassen.

Natürlich ging sie nun gerade jeden Tag zu Amtmanns, und auf's Schloß wurde der Doktor jetzt öfter geladen.

So verging wohl ein Monat, ohne daß Comteß Lolo ihrem Ziel näher gerückt war.

Da kam sie eines Tages zu ganz ungewohnter Srunde in das Amtmannshaus. Sie wollte überraschen.

Aber als sie schon im Nebenraum des Musikzimmer stand, hörte sie durch die halb offenstehende Thür eine ziemlich erregte Unterhaltung zwischen dem Doktor und der Käthe . . . .

„Aber vertheidige Dich doch gar nicht erst! Ich sehe es ja nur zu deutlich! Nur Deinetwegen komt sie doch jetzt so oft zu uns, früher kam sie alle vier Wochen einmal. Es ist ja klar, daß Du ihr den Hof machst!”

„Ich ihr den Hof machen? Du bist ja blind, Käthe! — Umgekehr ist es. Sie macht mir den Hof! Sie will mich zu ihren Füßen sehen. Merkst Du denn das nicht auch, kleiner Trotzkopf? — Aber ich durchschaue diese kleine kokette Katze! Mit mir mißlingt ihr das Spiel aber gründlich!” —

Weiter hörte die Comteß nichts mehr, denn sie lief, heimlich, wie sie gekommen war, und so rasch sie konnte, wieder hinaus, und ihre Besuche im Amtmannshause wurden von da an seltener mit jedem Tage, bis sie endlich ganz aufhörten.

Einen Monat später verlobte sich Dr.Herkmann mit Amtmanns Käthe, und da erst erfuhr die Comteß, daß die beiden jungen Leute schon seit Jahren heimlich verlobt gewesen waren, und daß der Doktor sich nur deshalb zu der Rolle eines Hauslehrers herabgewürdigt hatte. — —

Seitdem sitzt Comteß Lolo wieder in ihrem traulichen Zimmer allein, schaut trübselig auf die endlose, eintönige Schneefläche hinaus und langweilt sich entsetzlich.

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